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Gesundheit zu Fuß

Spaziergänger vor Graffiti-Wand

Fotos: Volkan Olmez, Unsplash; Alamy Westend61, AdobeStock Farknot Architect

Es muss nicht immer gleich Sport sein: Einfaches Spazieren an der frischen Luft kann sehr gesunde Auswirkungen auf Körper und Geist haben. Vor allem die Menschen der klassischen Dienstleistungsgesellschaft, die viel im Sitzen arbeiten, profitieren.

Der kanadische Youtuber Will Tennyson produziert im wöchentlichen Rhythmus Videos zum Thema Ernährung und Fitness. Die Clips erreichen je nach Thema zwischen 30.000 und 1,2 Millionen Klicks. Sein durch­trainierter, muskulöser Körper verleiht Tennysons Worten in den Augen seiner Follower Gewicht und Glaubwürdigkeit. Wer so gesund aussieht wie der Kanadier, der weiß, wovon er spricht. Und Tennyson spricht oft vom Gehen. „Ich liebe es einfach, zu gehen. Ich versuche immer, mich täglich etwa 10.000 Schritte zusätzlich zu meinem normalen Sportprogramm zu bewegen. Das ist meine Art des Cardio und beugt Krankheiten vor.“ Eine ganze Reihe seiner Videos handeln davon, wie Tennyson spazieren geht oder sogar spezielle Herausforderungen meistert, bei denen er 25.000 Schritte an einem Tag zurücklegt. Mit dieser radikalen und konsequenten Haltung liegt der Kanadier allerdings weit über dem Durchschnitt der Menschen weltweit.

Weltweite Studie per App

Etwa 5.000 Schritte machen die Menschen weltweit im Schnitt pro Tag. Mehrere Studien der Universität Stanford in den Vereinigten Staaten haben das anhand von Mobilfunkdaten nachgewiesen. Die Daten von rund 710.000 Menschen aus 111 Ländern wurden dabei untersucht. In Asien und Europa bewegen sich die Menschen demnach am meisten. China und Japan liegen mit etwa 6.000 Schritten an der Spitze. In Nord- und Süd-Amerika und vor allem in den auswertbaren Ländern Afrikas liegt die durchschnittliche Anzahl der täglichen Schritte dagegen weit niedriger. Schlusslicht ist Saudi-Arabien. Dort wurden nur rund 3.500 Schritte verzeichnet.

Die Teilnehmer der Studien hatten eine App auf ihrem Handy installiert, die neben den täglich zurückgelegten Schritten noch weitere Daten wie Alter, Geschlecht und Gewicht der Teilnehmer erfasst hat. Ein Ergebnis: In Ländern, in denen Menschen viel gehen, gibt es weniger Dickleibige. Ein wichtiger Faktor sind dabei laut den US-Forschern auch fußgänger­freundliche Städte. Städte, in denen Ziele gut zu Fuß erreichbar sind, haben signifikant weniger übergewichtige Bewohner und mehr aktive Spazier­gänger. Zudem wurde in weiteren Studien der Nutzen des Spazierengehens auch bei anderen Leiden wie etwa Krebs nachgewiesen. Bewegung mindert demnach das Risiko für Dickdarmkrebs um etwa 20 bis 30 Prozent. Für Brustkrebs sprechen die meisten Studien ebenfalls von rund 20 Prozent. Bewegung fördert zudem auch noch die Festigkeit der Knochen und hat positive Effekte auf emotionale Störungen.

Smartphone mit Schrittzähler-App
Die Daten von App-Usern lieferten weltweit wertvolle Erkenntnisse.

Extremes Experiment

Will Tennyson hat kürzlich wieder eine besondere Herausforderung angenommen, die aus der Masse der Videos auf dem Kanal heraussticht: Er hat sich aufgemacht, an einem Tag 100.000 Schritte zurückzulegen. Das ist extrem. „Bei Youtube geht es darum, mit dem eigenen Content aufzufallen. Darum bin ich in diesem Konkurrenzkampf gezwungen, immer wieder auch extreme Ideen umsetzen“, sagt der Kanadier. „Da ich generell viel gehe und sehr fit bin, lag die Idee sehr nah, extrem viel zu gehen. 100.000 Schritte bedeuten in meinem Fall rund 86 Kilometer. Ich bin gesund ernährt, körperlich topfit und habe das Wissen um die Nährstoffe, die man für so eine Herausforderung braucht. Einem Büroangestellten ohne Training würde ich so eine extreme Zahl nicht zumuten wollen. Selbst ich war am Ende der Aktion fix und fertig. Meine Füße waren kaputt, meine Beine krampften, mein Rücken hat geschmerzt und ich habe trotz bester Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit rund 1,5 Kilogramm verloren. Mein Durchschnittspuls an diesem Tag lag bei 100.“ Wenn 3.500 Schritte sehr wenig sind und 100.000 Schritte extrem viel und grenzwertig gefährlich – wo genau liegt dann der gesunde Wert? Wie kann Spazierengehen das eigene Wohlbefinden und die Gesundheit unterstützen?

Eins vorweg, die klassische Zahl von 10.000 Schritten ist nicht wissen­schaftlich belegt. Der Wert, der zwischenzeitlich sogar von der Welt­gesundheitsorganisation WHO angenommen worden war, stammt aus den 60er-Jahren. Damals hat die Firma Yamasa – ein japanischer Hersteller von Schrittzählern – ihr neues Gerät ganz einfach mit dieser willkürlichen Zahl beworben. Der Wert blieb hängen. In der Zwischenzeit gab es weltweit eine Reihe von Studien, die zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, aber einen Trend zeigen. So hat eine Studie der Universität Warwick über einen langen Zeitraum Postzustellerinnen untersucht, die auf ihren Routen täglich viele Kilometer zurücklegen. Das Ergebnis: Wer besonders lang und besonders gesund leben will, sollte pro Tag rund 15.000 Schritte gehen. Das kann schnell entmutigen, wenn man es in die zurückzulegende Distanz und die dafür benötigte Zeit umrechnet.

Menschen balancieren auf Baumstamm im Wald
Bewegung ist gut für den Körper, egal, wie viele Schritte es am Tag sind.

Nicht entmutigen lassen

Dr. I-Min Lee und ihr Team von der Universität Harvard haben dagegen in ihrer Studie gezeigt, dass der positive Effekt des Gehens bei rund 7.500 Schritten ein Plateau erreicht. Wer demnach 7.500 Schritte am Tag geht, lebt statistisch gesehen länger. Danach verändern sich die Werte nicht mehr signifikant. Die Empfehlungen von Dr. Lee sind erfreulich einfach. Menschen sollten mehrfach täglich einfach ein wenig gehen, es muss nicht immer ein kilometerlanger Spaziergang sein. Dazu kommen kleine Herausforderungen: „Nehmen Sie immer die Treppe, statt eines Fahrstuhls. Parken Sie Ihr Auto immer auf dem ersten freien Platz, den Sie sehen, und nicht auf dem Platz, der Ihrem Ziel am nächsten ist. Steigen Sie immer eine Station früher aus dem Bus aus, als Sie eigentlich müssten. Diese kleinen Dinge machen viel aus. Lassen Sie sich nicht von der Zahl 7.500 oder 10.000 entmutigen.“

Professor Martin Halle von der Technischen Universität München bestätigt: „Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass bereits ein Mindestmaß an körperlicher Aktivität die schlimmsten Folgewirkungen etwa der Adipositas mildern und im günstigsten Fall sogar verhindern kann. Wer täglich sieben bis acht Minuten zügig spazieren geht, reduziert sein Risiko für kardio­vaskuläre Erkrankungen und Diabetes bereits um 20 Prozent.“

Kreativ dank Bewegung

Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes sind für den fitten Youtuber Will Tennyson ferne Welten. Er geht trotzdem weiter fleißig spazieren. Nicht nur aus körperlichen Gründen, wie er zugibt: „Ich gehe sehr oft morgens vor dem ersten Training schon spazieren. Das heißt, dass ich um 5.30 Uhr allein in einer menschenleeren Stadt unterwegs bin. Das ist wie ein kleiner Urlaub für den Kopf. Ich werde nicht von anderen Menschen, Autos oder Lärm abgelenkt und habe eine stille Zeit für mich, in der ich kreativ sein kann. Ich denke dann über die nächsten Videos nach und was ich auf meinem Kanal alles tun kann.“

Diese persönliche Vorliebe findet auch in wissenschaftlichen Studien eine Bestätigung. Es gilt als belegt, dass Menschen in Bewegung besser lernen, kreativer sind und über eine schärfere Wahrnehmung verfügen. Laut Dr. Barbara Händel, Neurowissenschaftlerin von der Universität Würzburg, spielt das bessere Auslesen solcher Informationen in der Bewegung eine wichtige Rolle in unserer Navigation. „Von Tieren war bekannt, dass eine gesteigerte Körperbewegung zu einer erhöhten Feuerrate in visuellen Arealen des Gehirns führt. Für Menschen liegen bislang nur wenige Verhaltensexperimente vor, die den Einfluss von Bewegung auf sensorische Gehirnareale untersuchen. Manches deutet aber auf eine Verbindung zwischen kognitiven Prozessen und dem Bewegungszustand hin.“

Bewegung ist also – in welchem Umfang auch immer – erst einmal gesund. Es müssen ja nicht gleich immer verrückte Experimente wie bei Will Tennyson sein. Der sagt inzwischen schließlich selbst, dass er gern noch viele Herausforderungen annimmt, aber „100.000 Schritte mache ich nicht nochmal an einem Tag.“